: Zerrissene Leben. Tschechoslowakische Frauen im Konzentrationslager Ravensbrück 1939–1945. Hamburg 2023 : VSA Verlag, ISBN 978-3-96488-169-4 454 S. € 34,80

Gilzmer, Mechthild; Sprute, Hannah (Hrsg.): Frauen aus Frankreich im KZ Ravensbrück (1942–1945). Deutsch-Französische Forschungsperspektiven. Berlin 2023 : Metropol Verlag, ISBN 978-3-86331-666-2 356 S. € 26,00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Maëlle Lepitre, Historisches Seminar, Universität Jena

Seit der Veröffentlichung von Bernhard Strebels Monographie im Jahr 2003 ist ein Überblick zur Geschichte der Frauenkonzentrationslager Ravensbrück auf Deutsch verfügbar.1 Bisher waren jedoch kaum gründliche Untersuchungen zu einzelnen nationalen Häftlingsgruppen in deutscher Sprache zugänglich.2 Erfreulicherweise tragen die zwei in dieser Rezension behandelten Veröffentlichungen zur Schließung dieser Lücke bei. Bei der ersten Studie handelt es sich um die Übersetzung der Dissertation, die Pavla Plachá an der Prager Karlsuniversität über die 1.400 nach Ravensbrück verschleppten tschechoslowakischen Frauen verfasste. Mechthild Gilzmer und Hannah Sprute legten als Begleitmaterial der von ihnen kuratierten Ausstellung „Widerstand – Verfolgung – Deportation. Frauen aus Frankreich im KZ-Ravensbrück 1942–1945“ den zweiten hier besprochenen Band vor: Für die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten sammelten sie 19 Beiträge zu den 7.000 aus Frankreich nach Ravensbrück deportierten Frauen – davon waren 14 Aufsätze ursprünglich auf Französisch verfasst und wurden von Barbara Hahn und Kaja Fröhlich ins Deutsche übersetzt.

Die zwei Bände setzen sich mit einem ähnlichen Thema auseinander: die Repressions- und Deportationserfahrung(en) der jeweiligen Gruppe. Dabei untersuchen sowohl Plachá als auch Gilzmer und Sprute die geschlechtsspezifische Dimension weiblicher Deportation, den Alltag im Lager oder die Erinnerung an Ravensbrück – im Fall des Buches „Frauen aus Frankreich“ kommt eine Analyse der Rolle von Frauen im Widerstand in der Zeit vor der Deportation hinzu. Deswegen bietet es sich an, die beiden Arbeiten strukturell und inhaltlich zu vergleichen.

Der Aufbau von Plachás Dissertation wirkt zunächst überraschend: Nach der Einleitung umreißt die Autorin die Entwicklung des tschechoslowakischen Gedenkens an Ravensbrück. Erst danach analysiert sie die Erfahrung von deportierten Frauen und die Haftbedingungen. Diese Struktur funktioniert allerdings gut, denn die Schilderung der Dominanz (kommunistischer) Widerstandskämpferinnen im öffentlichen Gedenken der Tschechoslowakischen Republik verweist auf die Hauptquellen der Studie, die Zeitzeugenberichte. Dadurch kann Plachá sichtbar machen, dass sie für ihre Ausführungen über nicht-kommunistische Gruppen kaum Selbstrepräsentationen der Opfer zur Verfügung hatte, sondern nur Darstellungen von Widerstandskämpferinnen, die insbesondere dann, wenn sie die sogenannten „Asozialen“ oder „Kriminellen“ betreffen, nicht immer vorurteilsfrei waren. Gilzmer und Sprute bauen ihren Band konventioneller auf: Teil 1 ist der Darstellung der Repressionsmechanismen im besetzten Frankreich gewidmet, während Teil 2 eine Annäherung an das soziale Profil der nach Ravensbrück deportierten Frauen liefert. Im Teil 3 geht es um das (Über-)Leben im Lager. Teil 4 beschäftigt sich mit der Zeit nach der Befreiung. Diese Gliederung ist insofern sinnvoll, weil der Leser in den Kontext der Lage Frankreichs während des Zweiten Weltkrieges eingeführt wird, bevor er sich über die Geschichte der aus Frankreich verschleppten Frauen informiert. Bedauerlicherweise sind die Beiträge nicht immer thematisch deutlich voneinander getrennt, sodass es mehrmals zu Wiederholungen kommt. Beispielsweise machen Arnaud Boulligny und Pierre-Emmanuel Dufayel in ihrem Artikel über das soziale Profil der deportierten Frauen einen mehr als eine Seite langen Exkurs über Mutterschaft und das Verhältnis zum eigenen Körper im Lager – zwei Themen, die zum Teil 3 gehören. Da die Beiträge kurz gehalten wurden (circa zehn Seiten), ist diese Doppelung umso bedauerlicher.

Methodisch greifen die zwei Bände mehr oder weniger explizit auf biographische Quellen zurück. So beschreibt Plachá in ihrer Einleitung die Beschäftigung mit Lebensgeschichten als einen möglichen Weg, die NS-Deportationspraxis und das Häftlingssystem konkret zu analysieren. Weil andererseits Gilzmer und Sprute ihr Buch als interdisziplinären Dialog bzw. als „Kaleidoskop“ (S. 26) konzipierten, ist es in ihrem Fall nicht möglich, eine einheitliche Methode zu beschreiben. Mehrere Beiträge, insbesondere diejenigen, die sich mit dem Lageralltag befassen, wählten allerdings einen biographischen Ansatz. Beispielsweise beleuchtet Suzette Robichon mit ihrer Rekonstruktion der Lebenswege von Nelly Mousset-Vos und Nadine Hwang die Entstehung ihrer Beziehung in Ravensbrück, die sich nach dem Kriegsende fortsetzte.

Inhaltlich setzen sich beide Bände mit den unterschiedlichen Deportationswegen auseinander. Eine Gemeinsamkeit war für die meisten in Ravensbrück inhaftierten Frauen aus Frankreich und aus der Tschechoslowakei, dass ihre Deportation nicht unmittelbar nach ihrer Verhaftung erfolgte. Bei Widerstandskämpferinnen kam es oft zu justiziellen Untersuchungen, die zu Verurteilungen führen konnten (in diesem Fall geschah die Einweisung ins Lager nach Verbüßung der Strafe). Bei rassistisch Verfolgten spielten Sammellager eine wichtige Rolle (Drancy für die Juden/Jüdinnen aus dem besetzten Frankreich oder Lety für die in der Tschechoslowakei verhafteten Sinti/Sinteza und Roma/Romnja). Auch nach Beginn der Deportation wurden die Frauen nicht unbedingt direkt nach Ravensbrück verschleppt. So hebt Plachá hervor, dass die meisten Sinteza und Romnja zuvor Auschwitz durchliefen. Im Fall der Frauen aus Frankreich zeigen Boulligny und Dufayel, dass die Widerstandskämpferinnen (im Vergleich zu Männern) nicht so häufig direkt ins KZ transportiert, sondern oft zunächst ins Gestapo-Lager Neue Bremm bei Saarbrücken gebracht wurden.

Sowohl bei Plachá als auch bei Gilzmer und Sprute ist eine Analyse der Zusammensetzung der untersuchten Gruppen sowie der Beziehungen zwischen den Gruppen zu finden. In beiden Fällen sind die Gruppen in vielfacher Hinsicht heterogen. Zunächst ist die Vielfalt der Herkunft zu nennen: Da Plachá sich für nach Ravensbrück verschleppte Frauen interessiert, die vor dem Münchener Abkommen 1938 über die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft verfügten, befinden sich unter dieser multiethnischen Gruppe nicht nur Tschechinnen und Slowakinnen, sondern auch Polinnen oder Deutsche. Weil Gilzmer und Sprute den Blick auf die Frauen richten, die aus Frankreich deportiert wurden, gehören nicht nur Französinnen zur untersuchten Gruppe (zum Beispiel gab es auch republikanische Spanierinnen, die Zuflucht in Frankreich gesucht hatten). Zweitens beleuchten beide Bände die unterschiedlichen Haftgründe und erinnern daran, dass die Nationalsozialisten nicht nur Widerstandskämpferinnen nach Ravensbrück einwiesen: Auch Frauen jüdischer Abstammung, Sintiza und Romnja, Zeuginnen Jehovas, Prostituierte, „gewöhnliche Straftäterinnen“ oder zivile (Zwangs-)Arbeiterinnen litten unter der NS-Repressionspolitik. Drittens behandeln Plachá sowie Gilzmer und Sprute die Vielfalt der politischen Überzeugungen bei den Widerstandskämpferinnen. Für Frankreich lassen sich schematisch eine kommunistische und eine gaullistische Linie unterscheiden; im Fall der Tschechoslowakei waren neben Kommunistinnen auch Sozialdemokratinnen und Angehörige konservativer Parteien im Lager. Viertens machen beide Bücher die unterschiedliche soziale Herkunft deutlich. Während es sowohl aus Frankreich als auch aus der Tschechoslowakei unter den Widerstandskämpferinnen Intellektuelle aus wohlhabenden Familien (wie die Anthropologin Germaine Tillion oder die Journalistin Milena Jesenská) gab, stammten die meistens Prostituierten und zivilen Arbeiterinnen aus einfache(re)n Verhältnissen. Schließlich gab es unter den Häftlingen große Altersunterschiede. Weil ab 1944 eine Entbindungsstation in Ravensbrück existierte, befanden sich dort am Kriegsende einige Säuglinge. Andererseits saßen Frauen über 60 Jahre im Lager.

Angesichts dieser Diversität formierten sich Gruppen im KZ (zum Beispiel je nach Herkunft oder nach politischer Überzeugung), deren Beziehungen zueinander ganz unterschiedlich waren. Wie häufig die jeweiligen Haltungen vorkamen, lässt sich jedoch anhand der zwei Bände nicht sagen. Fälle von Solidarität seitens der Widerstandskämpferinnen gegenüber den Schwangeren bzw. Kleinkindern sind sowohl bei Plachá als auch bei Gilzmer und Sprute belegt. Zwischen geschlossenen Gruppen (Zeuginnen Jehovas oder die Frauen, die 1942 aus Lidice nach Ravensbrück deportiert wurden) und anderen Häftlingen existierte aber scheinbar eine gewisse Distanz. Konflikte entstanden im Fall der Kommunistinnen aus der Tschechoslowakei, die keine Kontakte zu nicht-linientreuen Linken pflegen wollten (beispielsweise mit Margarete Buber-Neumann wegen ihrer kritischen Haltung gegenüber der stalinistischen Sowjetunion). Auf allgemeine Ablehnung stoßen die als „Asoziale“ oder „gewöhnliche Straftäterinnen“ Deportierten, wobei bei der Abgrenzung dieser Frauen der Vorwurf von einer devianten Sexualität (bzw. Homosexualität) eine entscheidende Rolle spielte. Leider sind die Intergruppenbeziehungen in beiden Bänden fast ausschließlich als statisch dargestellt. Eine Ausnahme ist der Beitrag von Camille Fauroux über die französischen Frauen, die sich freiwillig zur Arbeit in Deutschland meldeten und aufgrund von Verstößen gegen die Arbeitsvorschriften nach Ravensbrück eingewiesen wurden. Den Bericht einer Betroffenen analysierend, vertritt Fauroux die These, dass freundliche Beziehungen zwischen zivilen Arbeiterinnen und Widerstandskämpferinnen im Lager nicht unmöglich waren und dass die Grenzen zwischen beiden Gruppen erst nach der Befreiung entstanden sind (da die zivilen Arbeiterinnen als „unpatriotisch“ galten, hätten sich die Widerstandskämpferinnen davon distanzieren wollen). Bei der Analyse der Beziehungen zwischen den Häftlingen fehlt es außerdem in beiden Bänden an einer grundlegenden Beschäftigung mit den Machtverhältnissen im Rahmen des Systems der „Selbstverwaltung“.

Hervorzuheben ist ferner das Thema der administrativen Übernahme einer Reihe von Außenlagern Ravensbrücks durch Buchenwald und Flossenbürg im Oktober 1944. Diesem Phänomen schenkt Plachá leider kaum Aufmerksamkeit. Sie weist zwar kurz darauf hin, dass die als Jüdinnen deportierten Tschechoslowakinnen, die ab Sommer 1944 Opfer von Massendeportationen wurden, in der Regel nicht im Stammlager blieben. Mehr Details liefert sie aber nicht. Angesichts der Tatsache, dass die Haftbedingungen sich zwischen den Außenlagern (beispielsweise hinsichtlich der Unterkünfte) wesentlich unterschieden, ist dieses mangelnde Interesse schade. Bei Gilzmer und Sprute findet diese Frage Berücksichtigung in dem Beitrag von Isabella von Treskow. Anhand der Berichte von vier französischen Widerstandskämpferinnen, die nach Holleischen, Zwodau und Helmbrechts transportiert wurden, nimmt von Treskow das Beispiel von Flossenbürger Außenlagern unter die Lupe. Insbesondere beleuchtet sie die ablehnenden Reaktionen auf die Zwangsarbeit für die NS-Kriegsindustrie, was offenbar auf die Herkunft der benutzten Quellen zurückzuführen ist. Interessant wäre deswegen, diese Studie durch die Einbeziehung anderer Gruppen (etwa die jüdischen Häftlinge) zu erweitern, um den Alltag in solchen Außenlagern differenziert betrachten zu können.

Das Thema des Gedenkens an Ravensbrück behandeln beide Bände. Jenseits des politischen Kontextes (in der Tschechoslowakei gelangten 1948 die Kommunisten an die Macht und instrumentalisierten die Geschichte des „antifaschistischen“ Widerstandes zum Zweck der Selbstlegitimierung) lassen sich gravierende Gemeinsamkeiten feststellen. Erstens schlossen die Gesetze zur Anerkennung des Deportierten-Status die als „unpatriotisch“ geltenden Häftlingsgruppen (wie die „Asozialen“) aus und subsumierten die anderen in der Kategorie der „Politischen“. Zweitens spielten die Widerstandskämpferinnen eine führende Rolle in der Konstituierung und Leitung von Lagergemeinschaften. Unter anderem durch ihre Publikationen („Les Françaises à Ravensbrück“ oder den tschechischen Sammelband „Ravensbrück“3) trugen sie jahrelang zu einer öffentlichen Darstellung der jeweiligen nationalen Gruppen im Lager als selbstbewusste, solidarische Kollektive bei. Sie engagierten sich auch für die strafrechtliche Verfolgung von Tätern/Täterinnen, seien es das ehemalige Wachpersonal (Aussagen Tillions beim Hamburger-Prozess 1946/47) oder „Funktionshäftlinge“, die ihre Machtposition im Lager missbrauchten (Anklage der tschechischen Widerstandskämpferinnen gegen eine Blockälteste Uckermarks).

Zusammenfassend ergänzen sich die zwei Bände gut hinsichtlich ihrer unterschiedlichen Stärken. Plachá gelingt es besonders gut, anhand ihrer detaillierten biographischen Untersuchungen die Zusammensetzung der NS-Häftlingskategorien zu beschreiben – wo dies anhand der verfügbaren Quellen möglich war, sogar mit bezifferten Angaben. Ein weiteres Verdienst ihrer Arbeit besteht darin, dass sie es durch ihren biographischen Ansatz schafft, dominante Narrative zu dekonstruieren. Während die Widerstandskämpferinnen behaupteten, die Kommunistinnen seien die ersten Frauen aus der Tschechoslowakei gewesen, die in der ersten Hälfte des Jahres 1939 in Ravensbrück ankamen, beweist Plachá, dass einige Zeuginnen Jehovas und deutsche NS-Gegnerinnen davor im Lager eintrafen. Beim Band „Frauen aus Frankreich“ sind hingegen Bemühungen mehrerer Autoren hervorzuheben, Vergleiche mit der Lage der Männer vorzunehmen, um die Spezifizität der NS-Repressions- und Deportationspolitik gegenüber Frauen herauszuarbeiten. Es ist aber schade, dass diese Anstrengungen zum Vergleich nur in Beiträgen aus dem ersten und zweiten Teil zu beobachten sind. Die Frage, inwieweit die Deportationserfahrung der Frauen sich von derjenigen der Männer (in Ravensbrück und in anderen Lagern) unterscheidet, ist somit unzureichend berücksichtigt. Am Ende dieser Rezension bleibt es zu wünschen, dass der in diesen zwei Arbeiten zu beobachtende internationale Wissenstransfer sich fortsetzen wird und dass die angesprochenen offenen Fragen Gegenstand von wissenschaftlichen Studien werden.

Anmerkungen:
1 Bernhard Strebel, Das KZ Ravensbrück. Geschichte eines Lagerkomplexes, Paderborn 2003.
2 Lediglich Zeugnisse von italienischen Häftlingen waren bisher auf Deutsch verfügbar: Johanna Kootz (Hrsg.), Als Italienerin in Ravensbrück. Politische Gefangene berichten über ihre Deportation und ihre Haft im Frauen-Konzentrationslager, Berlin 2016.
3 Amicale de Ravensbrück / ADIR (Hrsg.), Les Françaises à Ravensbrück, Paris 1965; Božena Holečková u.a. (Hrsg.), Ravensbrück, Prag 1960.

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